[Hallo Anna. Ich drängel mich nochmal dazwischen...]
Um in Südafrika als Physiotherapeutin arbeiten zu können, braucht es eine extra Prüfung, die ich im Oktober ablegen will. Bis dahin heißt es büffeln und im Fachenglisch fit werden. Nach anfänglichem Aufregen über soviel Umständlichkeit finde ich es ganz schön, mich nach 10 Jahren mal wieder theoretisch und dazu noch auf englisch auf den letzten Stand zu bringen.
Praktisch gucke ich mich eher ehrenamtlich um: zB plane ich eine Beckenbodengruppe (gibt’s hier überhaupt nicht, aber laut Fachleuten riesiger Bedarf) und werde nächste Woche in eine Schule für blinde Kinder, die auf ehrenamtliche Physiotherapie angewiesen ist, mal gucken gehen.
Letty hat bis letzte Woche einmal wöchentlich unsere Wohnung geputzt. Weil jetzt aber Roelin, für die Letty den Rest der Woche arbeitet, sie nun auch mittwochs braucht (vor allem für ihre Tochter Rika) , werde ich Ikes Firma ausprobieren, die sie vor ein paar Monaten gegründet hat, nachdem sie im Gymnasium aus Kostengründen als Deutsch- und Tourismuslehrerin entlassen wurde. Also statt einmal wöchentlich Letty für 6 Stunden mit Verpflegung und Transport und familiären Kümmernissen jetzt Ikes Putzkolonne 2 Stunden die Woche. Habe heute mit Letty telefoniert. Wir sind uns irgendwie ans Herz gewachsen in der Zeit.
Ihr Bruder ist am WE im Krankenhaus gestorben. Was man hier auf keinen Fall fragt, ist, woran jemand gestorben ist (Würde auch nicht viel bringen, denn schließlich stirbt man nicht an AIDS selbst), ob nun aus Scham oder weil man sonst irre wird weiß ich nicht. Vielleich beides.
Die Nachricht war wie ein Auftakt: heute habe ich im fruit & veg auf der Safttheke, an der ich einmal die Woche Säfte in meine Flaschen füllen lasse, Foto und Kerze gesehen: meine Lieblingsverkäuferin ist gestorben. Es gibt keine Übergangszeit, kein tragisches Ereignis, was dazu führte: sie kommt an einem Tag nicht zur Arbeit weil sie tot ist. Ich hätte sie zu Lebzeiten nicht Lieblingsverkäuferin genannt, einfach weil ich gar nicht viel über die Leute nachdachte. Man macht so seine Späße miteinander, werde freundlich und neugierig beobachtet wie ich bis zu 6 Kinder in Schach halte und 4 leere 3l Flaschen rüberreiche. Der Laden mit Ostcharme, aber voller Obst und Gemüse. Jetzt sehe ich ihr Foto und registriere, dass sie mir die angenehmste in diesem Laden war und aufeinmal WAR; nur unbedeutend älter als ich!
Gayle erzählt ähnliches von der Putzfrau der Fakultät. Sie sind so selbstverständlicher Teil des Alltags. Da bleibst die Zeit um dich herum stehen, und alles bekommt eine andere Farbe.
Da passt der schöne Gedichtband aus Hansels Paket, den ich gerade heute begonnen habe, gut zum Thema: die K-Gedichte von Robert Gernhardt. Ein Segen.
Letty hat 2 Söhne, Mischak, so alt wie Rosa, und Sidisu, 13.
Sie lebt allein weil sie ihren Mann vor einer Weile rausschmiss. Nüchtern sagt sie, allein kann sie mit mehr Sicherheit wirtschaften und wartet nicht mehr drauf, dass er mal mithilft. Sie wirkt sehr realistisch und zuversichtlich. Gott gibt ihr Arbeit und ein Zuhause für ihre Familie. Sie spricht afrikaans und setswana, wir haben uns in englisch immer was zurecht geholpert, aber doch eine Menge voneinander erfahren.
Für mich war das Arbeitsverhältniss zuerst sehr gewöhnungsbedürftig. Aus Deutschland kenne ich die klare Einteilung: Dienstleistung auf der einen, faire Bezahlung auf der anderen Seite – fertig. Durch die zwei verschiedenen Wirtschaftssysteme hier (so nenne ich das jetzt mal), also die eine Welt der gut Ausgebildeten (zZ überwiegend Weiße) mit Gehältern ähnlich dem europäischen Durchschnitt, und die anderen, nicht Ausgebildeten (zumeist Schwarze und Farbige), mit gesetzmäßig vorgeschriebenem Mindestlohn von 700 Rand (70 Euro) im Monat, läuft das hier anders: mit deinen Hausangestellten, so sagt Roelin, bekommst du auch noch einen Haushalt dazu, um den du dich mitkümmerst. Für viele Leute, die wir kennen, ist es deren Beitrag, die ärmeren Landsleute zu unterstützen: Kinderbetreuung und Ausbildung, Rentenversicherung, Kreditvergabe oder Bank. Ob das Standard ist, bezweifle ich.
Ausserdem hat man zu all dem Schlamassel heute die Auswirkungen des Sowetoaufstandes 1976: Die Kinder starteten daraufhin einen Schulboykott, der zwei Jahre anhielt. Man kann sich denken, wie lange man danach zutun hatte, Schulstruktur wieder aufzubauen. Auch in den Familien. Für eine ganze Generation war Bildung passé.
Das heißt es sind die heute +/- 40 jährigen Schwarzen, eigentlich hauptverdienende Generation, die keine Chance und mit viel Glück Aushifsjobs haben.
Uta ist in der parents association: also wieder sowas ähnliches wie Elternsprecherin; diesmal in der Schule und nicht im Kindergarten. Dort sind Noas und meine Nahziele: Mädchenfussballmannschaft (sie ist nicht die einzige, die scharf drauf ist); barfüßige Kinder im Unterricht (als Mutter und Physiotherapeutin werde ich evtl. zu den Lehrerinnen sprechen).
3 comments:
So, nu sitze ich wieder im kalten, dunklen Deutschland und weiss aber doch viel genauer, wovon ihr schreibt, wenn ich diese meine Lieblingsseite anklicke...
Nach deinem letzten Eintrag und auch den ersten Gesprächen hier so habe ich den Eindruck, dass ich doch ein besonders sonniges, harmonisches Südafrika mitbekommen habe. Aber okay, es wäre auch vermessen, in drei Wochen ein so kompliziertes Land in allen Einzelheiten aufnehmen zu wollen, oder?
Berichte vom Kap kommen nach, wenn ich hier so einigermaßen einsortiert bin, herzlichste Grüße-
Anna
Hallo Uta, dieser Bericht hat mich sehr beeindruckt und sehr nachdenkich gemacht - und es war auch traurig.Es ist gut, wenn du uns die Menschen nahe bringst. Natürlich sieht und liest man viel
in Presse und TV zum Thema AIDS - es erschüttert doch noch mehr,wenn man von Einzelschicksalen und Namen erfährt. Moni
Meine lieben Verwandten in Afrika, ich bin doch sehr gespannt auf die "neuesten news" !!!!! und war und bin sehr ergriffen von der letzten Eintragung!
Ante trägt immer noch gerne Sachen die(more or less)von Henri kamen und täglich denke ich daran, seinen Namen auf dem Laufrad zu ergenzen. In Liebe Tante Eva und Antepup
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